T. Herzig: Christ Transformed Into A Virgin Woman

Cover
Titel
Christ Transformed Into A Virgin Woman. Lucia Brocadelli, Heinrich Institoris, And The Defense Of The Faith


Autor(en)
Herzog, Tamar
Reihe
Temi e Testi, Scritture nel Chiostro 114
Erschienen
Rom 2013: Edizioni di storia e letteratura
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Fachschaft Geschichte, Kantonsschule Freudenberg (Zürich)

Der israelischen Mediävistin Tamar Herzig ist mit diesem Buch ein Coup gelungen, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zur Erklärung: In ihrer Studie behandelt die Autorin drei Hauptthemen, denen ebenso viele Teile zugedacht sind. Dabei stört es nicht, dass diese Einteilung in erster Linie «optischer» Natur ist, da die drei Aspekte vielfach miteinander verzahnt sind. Thema Nummer eins: Heinrich Institoris, auch als Heinrich Kramer bekannt, und das vor allem als Autor des berühmtberüchtigten Hexenhammers. Der um 1430 im elsässischen Schlettstadt geborene Dominikaner liess im September 1501 im mährischen Olmütz die Flugschrift Stigmifere virginis Lucie de Narnia aliarumque spiritualium personarum feminei sexus facta admiracione digna drucken, gedacht als Preisung der im Titel hervorgehobenen Lucia Brocadelli von Narni († 1544) sowie von Stefana Quinzani († 1530) und Colomba von Rieti († 1501). Alle drei norditalieni-schen Dominikanerterziarinnen waren sogenannte «lebende Heilige», d. h. heilsmässig lebende Frauen, denen mystische Erlebnisse zuteil wurden. Im Mittelpunkt der Flugschrift steht eindeutig Lucia Brocadelli, die während ihrer visionären Trance-Zuständen die Wundmale Christi empfing, was von mehreren hochgestellten Personen bestätigt wurde – allen voran von Lucias Gastgeber Ercole I. von Este, Herzog von Ferrara –, deren Zeugnisse Eingang in die Flugschrift gefunden haben. Die Stigmatisation Lucia Brocadellis erklärt den im ersten Moment verstörend klingenden Titel von Tamar Herzigs St-die, der darauf anspielt, dass die stigmati-sierte Lucia gewissen Zeitgenossen wie ein sich in eine Jungfrau verwandelnder Christus erschien. Der Empfang der Wundmale durch Lucia ist im Zusammenhang mit der Konkurrenz zwischen den Dominikanern und den Franziskanern zu sehen, deren Ordengründer, Franz von Assisi, der erste stigmatisierte Heilige war. Auf dominikanischer Seite ging es darum, die umstrittene, da unsichtbare bzw. nur von der Betroffenen selbst erkennbare Stigmatisation der heiligen Katharina von Siena († 1380) offiziell anerkennen zu lassen, wobei der Empfang der Stigmata durch Lucia Brocadelli als eine Art rückwirkender Nachweis für die Stigmatisation Katharinas dienen sollte. Entsprechend kritisch war denn auch die Reaktion der Franziskaner gegenüber einer Lucia Br-cadelli, währenddem sich der Dominikaner Institoris darum bemühte, ihren Ruf zu propagieren.

Die aus mehreren Komponenten bestehende Flugschrift Stigmifere steht im Zentrum des zweiten Teils des Buches, in dem sie – Schicht für Schicht – analysiert wird. Nach der Untersuchung der bereits erwähnten Bestätigungsschreiben wendet sich die Verfasserin dem anonym publizierten Carmen theocasticon de Lucia Narniensis… zu, einem in die Flugschrift inserierten hunderteinundfünfzig daktylische Hexameter zählenden Gedicht, dem ihr Hauptaugenmerk gilt. Das Carmen theocasticon enthält die erste gedruckte Beschreibung von Lucia Brocadellis Stig-¨matisation. Tamar Herzig vermutet den anonymen Verfasser im höfischen Umkreis Herzog Ercoles I. von Este. Dieser Verfasser musste über eine umfassende humanistische Bildung verfügt haben, die sich im Text niederschlug und die von der Historikerin kenntnisreich aufgearbeitet wird. Überhaupt ist die Tiefenschärfe und der Detaillierungsgrad von Tamar Herzigs Analysen beeindruckend – mit der einzigen (vom Rezensenten zu erkennenden) Ausnahme eines kurzen Seitenblicks auf den Berner Jetzerhandel (1507−1509), bei dem die bestehende Literatur nicht ausgeschöpft worden ist. Von diesem Nebenaspekt abgesehen, zeugt Herzigs Arbeit davon, dass sich die Autorin seit längerem mit der Materie befasst hat. Entsprechend lässt sich der vorliegende Band gewissermassen als «logische» Fortsetzung des aus ihrer Dissertation hervorgegangenen Buches Savonarola’s Women. Visions and Reform in Renaissance Italy (2008) lesen (vgl. unsere Besprechung in SZRKG 103 [2009], 318−319). Im dritten Teil von Christ Transformed Into A Virgin Woman wird die Flugschrift Stigmifere schliesslich ediert und nach den Regeln der Kunst im Sachapparat historisch kommentiert.

Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen der vorliegenden Besprechung nicht alle Aspekte in Tamar Herzigs überaus inhaltsreichen Studie angeführt werden können. Wir beschränken uns deshalb auf den Herausgeber der Flugschrift, Heinrich Institoris, der sich in dem von ihm vorbereiteten Text übrigens nie direkt, d. h. namentlich, zu erkennen gibt, sondern bloss indirekt, über einen auf der letzten Seite der Flugschrift mitgedruckten Holzschnitt. Dieser enthält nebst dem Wappen Papst Alexanders VI. auch dasjenige des päpstlichen Gesandten in Mähren, eben Institoris (Abb. 1, 282). Die meisten Untersuchungen zu Institoris beschäftigen sich mit dessen Leben und Wirken bis zum Erscheinen des Hexenhammers (Erstdruck wohl Ende 1486). Über den späteren Wer-degang des Hexenhammer-Autors ist ungleich weniger bekannt, so dass Tamar Herzigs Arbeit hier ein wichtiges Forschungsfeld öffnet. In ihrem Buch zeichnet sie Institoris’ ganzen Lebensweg, soweit z. Z. bekannt, nach und ruft in Erinnerung, dass der Malleus Maleficarum eben nur ein (wenn auch das bekannteste) Werk des Schlettstädter Dominikaners war.

Seinen letzten Lebensabschnitt verbrachte Letzterer in Mähren, wo er gegen die Böhmischen Brüder vorging und wo er um 1505 auch verstarb. Zuvor aber hatte er, der sich im Laufe seines Lebens des öfteren in Rom aufhielt, auf der Rückreise aus der Ewigen Stadt in Ferrara Halt gemacht, wo es am 2. März 1500 zu einer persönlichen Begegnung mit Lucia Brocadelli kam. Der Dominikaner war tief beeindruckt, zumal er – wie er 1501 notierte – Brocadellis Stigmata mit eigenen Augen sah und sie nach eigenem Bekunden auch küsste. Wie verhält sich nun aber Institoris’ Einsatz für die «lebenden Heiligen» mit der Misogynie, die dem Verfasser des Hexenhammers nachgesagt wird? Letztlich handelt es sich wohl um zwei Seiten derselben Medaille, wie Tamar Herzig festhält: «In his Malleus [...], Institoris already affirmed that women are more prone to the influence of disembodied spirits than are men. However, he noted that not all the impressions that women received or retained had a diabolic origin, and that women who used their greater impression-ability for commendable purposes could become very good. This is the very assumption that underlies Institoris’ eulogy of women’s spirituality [...]. As members of the female sex – deprived as they are of the capability to critically evaluate the images that influence their minds – women can reach a perfect degree of imitatio Christi» (128).

Mit Christ Transformed Into A Virgin Woman legt Tamar Herzig ein höchst anregendes Buch vor, das eine komplexe historische Gemengelage analysiert, in der nebst den bereits gestreiften Motiven noch zahlreiche weitere angesprochen werden könnten. In diesem Dickicht dient die vorliegende Studie als übersichtlicher, informativer und gut lesbarer Führer.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Tamar Herzig, Christ Transformed Into A Virgin Woman. Lucia Brocadelli, Heinrich Institoris, And The Defense Of The Faith. With the text of ‹Stigmifere virginis Lucie de Narnia aliarumque spiritualium personarum feminei sexus facta admiracione digna› (= Temi e Testi, Scritture nel Chiostro 114), Rom, Edizioni di Storia e Letteratura, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 400-402.

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